Ein Baurecht ohne Fallstricke nach neuem Zürcher Modell
Baurechtsverträge sind eine komplexe Angelegenheit, weil sie praktisch dauernd an eine Reihe von Wirtschaftsfaktoren angepasst werden müssen: Landwerte, Hypothekarzinsen, Inflation. Die Ausgestaltung dieser Anpassungsklauseln birgt aber so viel Spielraum, dass sich die Vertragspartner oft nicht einigen können. Ein neues Bewertungsmodell soll dieses Konfliktrisiko aus der Welt schaffen.
Das schweizerische Baurecht: ein umständliches Vehikel, dem viel Skepsis entgegengebracht wird. Kaum jemand kann die finanziellen Folgen eines Vertragsabschlusses genau berechnen. Klar ist: Das Baurecht ist ein Recht, ein Grundstück gegen die Bezahlung eines Zinses für eine bestimmte Dauer zu nutzen. Das Baurecht wird meistens selbständig und dauernd ausgestaltet. Das heisst, es ist übertragbar und wird für mindestens 30, höchstens aber für 100 Jahre vereinbart und im Grundbuch eingetragen. Das Baurecht kann in dieser Ausgestaltung mit einem Grundpfandrecht (zum Beispiel einer Hypothek) belastet werden. Der Vertragsinhalt ist innerhalb der gesetzlichen Schranken frei wählbar, ebenso die Berechnung des Baurechtszinses. Die Grundlage dieses Zinses hängt aber von verschiedenen Faktoren ab: der Landwertentwicklung, meistens dem Zins für eine erste Hypothek der ansässigen Kantonalbank oder dem Zins für zehnjährige Bundesobligationen sowie dem Index der Konsumentenpreise. Gemäss gängiger Praxis wir der Baurechtszins wie eine Miete jährlich bezahlt und alle fünf bis zehn Jahre an die Entwicklung der zu Grunde liegenden Faktoren angepasst. Das Problem: Die längerfristige Entwicklung dieser Grundlagen ist praktisch nicht vorhersehbar. Dies birgt Konfliktpotenzial. Eine mögliche Lösung ist der so genannte Baurechtszinsbarwert, hier auch Zürcher Modell genannt, entwickelt von: Otto Wipfli und Jürg Erismann vom Landerwerb der Baudirektion des Kantons Zürich. Schon bald könnten mit diesem Modell zahlreiche Konflikte zwischen Baurechtspartnern verhindert werden.
Mehr Berechenbarkeit mit dem Zürcher Modell
Das Zürcher Modell schaltet fast alle Faktoren aus, die einen Baurechtsvertrag zum unabwägbaren Risiko machen – so das der Baurechtsnehmer nicht mehr die berühmte Katze im Sack kauft, wie es bislang unter Umständen der Fall war. Gerade aufgrund der Baulandentwicklung der vergangenen Jahre sahen und sehen sich wieder viele Baurechtsnehmer mit einer massiven Baurechtszinserhöhung konfrontiert. Steigende Hypothekarzinsen und die anziehende Inflation sorgen für zusätzliche Kosten.
Das Zürcher Modell arbeitet mit dem Barwert, also dem heutigen Wert einer zukünftigen Zahlung oder mehrerer Zahlungen (siehe nebenstehende Graphik). Die einzelnen Beträge werden mit einem bestimmten Zinssatz abdiskontiert. Dieser Berechnungsansatz ist in der Bewertungslehre für Liegenschaften, auch Discounted Cashflow- und Barwertmethode genannt, weit verbreitet. Die Bewertungslehre geht von einem bestimmten Bewertungsstichtag aus und bemisst den Nutzen in der Zukunft.
Dabei wird immer auf die aktuellen Verhältnisse abgestellt, sei dies der Landwert oder Diskontsatz. Der Zinssatz variiert je nach Investor und Bewertungsobjekt. Bei der reinen Landbewertung kann auf Vergleichspreise oder ebenfalls auf den Nutzen abgestellt werden.
Das Zürcher Modell geht davon aus, dass ein Baurecht anhand dieser Methode berechnet werden kann. Der in der Bewertung oder anhand von Vergleichswerten ermittelte Landwert reduziert sich mit einem verhandelbaren Baurechtsabschlag. Dieser liegt je nach Lage und Objekt zwischen null und 20 Prozent. Der Basiszinssatz errechnet sich anhand von langjährigen festverzinslichen Anlagen mit einem Immobilitätszuschlag. Ebenfalls berücksichtigt wird die Art des geplanten Bauvorhabens. Letztlich ist der Zinssatz aber auch hier Verhandlungssache. Die so errechneten zukünftigen Baurechtszinszahlungen werden mittels einer Rentenbarwertberechnung auf den Tag des Vertragsabschlusses abgezinst. Der Basiszinssatz bleibt derselbe. Mit dem Eintrag des Baurechtes im Grundbuch schuldet der Baurechtsnehmer eine Einmalzahlung. Gleichzeitig erfolgt meist auch die Baufreigabe für das Bauvorhaben. Baurechtsnehmer und Grundeigentümer können sich über ihr Handeln im Klaren sein. Die daraus fliessenden Konsequenzen können besser abgeschätzt werden, respektive sind klar umschrieben.
Man baut nicht mehr für 100 Jahre
In der Praxis gibt es vielfach Baurechte, bei denen der Boden die Baute dominiert oder umgekehrt. 1987 veröffentlichten die Autoren Tobias Studer, René L. Frey und Paul Rüst ihre Studie über den partnerschaftlichen Baurechtszins. Neu war der Ansatz, dass Grundeigentümer und Baurechtnehmer gleichwertige Partner sein sollten. Diese Idee nannte man auch “Basler Modell des partnerschaftlichen Baurechtszinses“. Etwas vereinfacht bedeutet es, dass der Baurechtsvertrag beiden Partnern die gleiche Nettorendite auf ihren Kapitaleinsätzen gewährleistet. Das funktioniert aber nur, wenn ein Dauerschuldverhältnis eingegangen wird und damit liegt auch hier die Krux in der Anpassungsklausel des Vertragswerkes. Eine kontinuierliche Anpassung des Vertrages ist für beide Parteien aufwendig. Also ist auch das Basler Modell nicht vor Rechtsstreitigkeiten gefeit. Allein dies spricht schon für die Anwendung des Zürcher Modells, zumal es auch einfacher ist
Das produzierende Gewerbe und auch der Detailhandel müssen heute flexibel sein. Darum bauen sie nicht mehr für 100 Jahre. Denn der technologische Wandel und die damit verbundenen Anforderungen an Gewerbebauten ändern rasant. Mit einem Baurecht für 40 bis 50 Jahren können zwei Renovationszyklen abgedeckt werden. Meistens gilt ein Gebäude danach als veraltet, da es nicht mehr den Anforderungen der potenziellen Nutzer entspricht.
Kommt das Zürcher Modell eines Baurechtsvertrages zur Anwendung, schreibt der Baurechtsträger die Baute und die Einmalzahlung über die Baurechtsdauer ab. Da er keine Anpassungen befürchten muss, kann er diese Ausgaben bereits bei Abschluss des Vertrages kalkulieren. Im Gegenzug hat der Grundeigentümer bereits das Geld in den Händen und muss sich nicht mehr um einen allfälligen Zahlungsverzug kümmern. Dadurch haben beide Parteien wesentlich weniger Verwaltungsaufwand während der Baurechtsdauer als bislang. Vor Ablauf des Baurechtes können sich die Parteien über eine allfällige Verlängerung unterhalten, die sie am besten wiederum mittels einer Einmalzahlung abwickeln. Wird das Baurecht nicht verlängert, tritt der ordentliche Heimfall ein: Das Gebäude wird Bestandteil des Grundstückes. Es wird mit oder ohne Entschädigung, Eigentum des Grundeigentümers.
Auch beim Zürcher Modell eines Baurechtsvertrages, hängt es von den Parteien ab, wie der Heimfall geregelt wird. In der Praxis wird meistens ein Anteil am Verkehrswert der heimfallenden Bauten entschädigt. Bei kurzen Baurechten (bis zu 50 Jahren) lohnt sich dies jedoch nicht. Die Baute kann auch ohne Entschädigung ins Eigentum des Grundeigentümers übergehen oder muss abgebrochen werden. Allfällige Abbruchkosten können bereits bei Abschluss des Baurechtsvertrages kalkuliert werden. Diese geschätzten Kosten werden auf die Baurechtsdauer abgezinst und vom Basislandwert abgezogen.
Ohnehin sind es die Grundstücke, welche langfristig an Wert gewinnen, selten die Gebäude. Zum Beispiel beträgt die teuerungsbereinigte langfristige Wertsteigerung des Bodens im Kanton Zürich nach einer Studie von Wüest & Partner[1] ca. 1,2 Prozent pro Jahr. Der Grundeigentümer kann nach Ablauf der Baurechtsdauer ein weiteres Baurecht auf einem höheren Landpreis gewähren. Der Werttreiber ist also das Grundstück und nicht das darauf erstellte Gebäude. Der Baurechtsnehmer seinerseits profitiert von den höheren Mietzinseinnahmen, und somit ebenfalls von der Wertsteigerung des Landes. Dies, ohne dass er diese Mehrerträge in irgendeiner Form an den Grundeigentümer weitergeben muss.
[1] Studie Wüest & Partner: teuerungsbereinigte langfristige Wertsteigerung des Bodens im Kanton Zürich „Existenz und Betrieb des Flughafens Zürich-Kloten: Auswirkungen auf die kommunalen Immobilienmärkte vor Ort. Eine empirische, wirtschaftshistorische Analyse von 1950 bis 2003“
Es braucht ein angemessener Zeithorizont für das Zürcher Modell
Das Zürcher Modell ist nicht für alle Baurechtsverträge geeignet. Bei Baurechten von über 60 Jahren ergibt sich kein wesentlicher Nutzen für den Grundeigentümer mehr. Der Grund: Die Baurechtszinszahlungen liegen in zu ferner Zukunft und weisen bei Vertragsabschluss praktisch keinen Wert auf.
Ein Rechenbeispiel: Eine Zahlung von 80’000 Franken in 80 Jahren bei einem angenommenen Zinssatz von 5 Prozent hat heute einen Wert von ungefähr 1’600 Franken. Dies entspricht nur zwei Prozent (siehe auch Tabelle unten).
Das Zürcher Modell trägt dem Umstand des knappen Eigenkapitals keine Rechnung. Da aber Bauland an bevorzugter Lage ein begehrtes Gut ist, ist diese Tatsache vernachlässigbar.
Ansonsten ist bei diesen „kurzen“ Baurechten nach Zürcher Modell der Nutzen sowohl für den Baurechtsnehmer als auch für den Grundeigentümer gegeben.
Voraussetzung ist ein unbelastetes Grundstück an einer guten Lage sowie ein Investor oder Gewerbetreibender mit einem angemessenen Zeithorizont von bis zu 50 Jahren. Dies belegen die abgeschlossenen Baurechtsverträge der Abteilung Landerwerb des Kantons Zürich über grosse Parzellen (zwischen 8’000 bis 15’000 m2) mit zum Teil namhaften Investoren und Firmen. Anpassungen des Baurechtszinses könnten somit schon bald Geschichte sein.
Jürg Erismann, eidg. dipl. Immobilientreuhänder, Abteilung Landerwerb der Baudirektion des Kantons Zürich und Patrik Moccetti, dipl. Master of Architecture